Von Moodle bis MOOC

Digitale Bildungsrevolution durch E-Learning?

Angela Borgwardt: Von Moodle bis MOOC. Digitale Bildungsrevolution durch E-Learning? (Schriftenreihe Hochschulpolitik Bd. 9). Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Studienförderung 2014.

Link zur Publikation

Inhalt

Digitale Medien verändern Hochschulbildung grundsätzlich. Zahlreiche deutsche Hochschulen bieten zum Beispiel MOOCs (Massive Open Online Courses) an. Manche verbinden mit den digitalen Möglichkeiten größere Chancen auf eine breitere Teilhabe an Hochschulbildung und mehr Bildungsgerechtigkeit, da durch kostenlose E-Learning-Angebote neue Zielgruppen erreicht werden können. Andere verweisen dagegen auf die hohen Abbruchquoten bei Online-Kursen, betonen die Bedeutung von Lehrpersönlichkeiten im Präsenzunterricht und warnen vor einer Kommerzialisierung der Bildung.

In der Publikation werden die Grundlagen des E-Learnings vorgestellt, relevante Begriffe und verschiedene digitale Lernformen detailliert erläutert, zum Beispiel Lernplattformen, MOOCs (Massive Open Online Courses) oder Blended-Learning-Konzepte, die Präsenzlernen und E-Learning verbinden.

Wichtige Ergebnisse

Digitale Lernformen wie MOOCs haben viele Vorteile, etwa in dem Inhalte multimedial aufbereitet werden können und interaktives Lernen möglich wird. Sie sollten aber von geeigneten didaktischen Konzepten und Präsenzveranstaltungen begleitet sein. Reine Online-Lehre wird nicht erfolgreich sein.

Handlungsempfehlungen

Gute Lehre stärken:

An deutschen Hochschulen muss der Stellenwert von Lehre grundsätzlich verbessert werden: Für die wissenschaftliche Karriere sollten nicht nur Leistungen in der Forschung, sondern auch Leistungen in der Lehre eine entscheidende Rolle spielen. Entsprechend muss die Politik die Anreizsysteme noch stärker in Richtung Lehre verlagern. Auch das Thema „Qualität der Lehre“ sollte mehr Gewicht erhalten. Künftig werden sich in der Hochschullehre vermutlich Blended Learning- Konzepte als Mischung aus Offline- und Online- Elementen durchsetzen. Der erfolgreiche Einsatz digitaler Medien ist immer mit Fragen der inhaltlichen Aufbereitung und didaktischen Gestaltung verknüpft. Deshalb müssen die Lehrenden neben ihrer fachlichen Expertise auch über hochschuldidaktische Fähigkeiten und Medienkompetenzen verfügen, um eine hohe Qualität dieser Lehrangebote sicherzustellen. Dafür muss die Fortbildung von Hochschullehrenden stärker auf die Anforderungen und Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien ausgerichtet sein. Unterstützende Weiterbildungsangebote in Hochschuldidaktik und Online-Technologien (z.B. als Online-Kurse) für Lehrende wären dabei sinnvoll.

Die Politik sollte prüfen, ob die vorhandenen Instrumente (wie z.B. der Qualitätspakt Lehre) den richtigen Zuschnitt haben, mit genügend Mitteln ausgestattet sind und den digitalen Aspekt von Hochschulbildung ausreichend abbilden – oder ob sie modifiziert bzw. durch neue Instrumente ergänzt werden müssen.

Offenheit fördern: Open Education, Open Access, Open Source:

Künftig sollte ein stärkerer Fokus auf Bildungsgerechtigkeit und den Abbau von Zugangsschwellen gelegt werden. In der Politik sollte das Bewusstsein darüber verstärkt werden, dass die digitalen Medien entscheidend zur Erreichung dieser Ziele beitragen können. Ein großes Potenzial der digitalen Medien liegt darin, mehr Offenheit zu ermöglichen, indem standardmäßig Kursinhalte in großem Ausmaß allen interessierten Menschen frei zugänglich gemacht werden können. Open Education hat in diesem Sinne auch das Potenzial, neue Zielgruppen für akademische Bildung zu erschließen.

Von zentraler Bedeutung sind dabei Open Educational Resources (OER) für Schulen und Hochschulen: Lern- und Lehrmittel sollten digital, frei und offen zugänglich sein. Durch mehr Austausch und Transparenz könnte sich dadurch auch die Qualität der Inhalte erhöhen. In Zukunft wird es darauf ankommen, digitale Bildung und Medienkompetenz von der Schule bis zur Hochschule aufeinander abgestimmt zu gestalten.

Auch Open Access sollte von der Politik massiv unterstützt werden, damit öffentlich finanzierte wissenschaftliche Inhalte allen Menschen frei zugänglich sind. Dies könnte auch die Legitimation der erforderlichen öffentlichen Ausgaben für die Wissenschaft entscheidend verbessern. Hier ist eine Novellierung des Urheberrechts für wissenschaftliche Inhalte notwendig. Die Reformierung des Wissenschaftsurheberrechts im Sinne von Open Access würde sich auch erleichternd auf die Herstellung von digitalen Studienangeboten auswirken.

Notwendig ist zudem die Förderung von Open Source. Die Standardisierung der Dateiformate muss vorangetrieben und dafür gesorgt werden, dass diese wirklich offen und kompatibel, transportabel und maschinenlesbar sind. Dies wäre auch ein wichtiger Beitrag zur – bisher noch fehlenden – Barrierefreiheit von Online-Tools. Begleitend muss in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die großen Chancen von Open Source-Entwicklungen geschaffen werden: Sie sind ein wichtiges Stück Netzkultur, die eine neue Art des Zusammenarbeitens ermöglichen und Bildungsgerechtigkeit voranbringen können.

Rechtssicherheit schaffen:

Im Bereich E-Learning sind dringend zahlreiche rechtliche Fragen zu klären. Ein wichtiges Thema ist, welche Inhalte Lehrende weitergeben bzw. vervielfältigen dürfen und inwieweit mit freien Creative Commons-Inhalten gearbeitet werden kann. Aktuell bewegen sich Lehrende in Schulen und Hochschulen bei digital zur Verfügung gestellten Lehrmaterialien häufig in rechtlichen Grauzonen. Es ist von zentraler Bedeutung, hier für Rechtssicherheit zu sorgen und eine generelle Regelung des Urheberrechts zu erreichen.

Darüber hinaus stellen sich bei MOOCs und ähnlichen Online-Angeboten nach deutschem Recht weitere Fragen, die ebenfalls zu klären sind. Betroffen sind neben dem Urheberrecht auch das Dienstrecht inkl. Nebentätigkeitsrecht, das Hochschulrecht und der Datenschutz.

Finanzierungssystem reformieren:

Da gute Online-Kurse teuer sind, ergibt sich daraus ein zusätzlicher Finanzbedarf der Hochschulen, die schon jetzt häufig unterfinanziert sind. Deshalb sind massive Investionen in die Bildung notwendig. Zudem muss nach einer Möglichkeit gesucht werden, wie Bund und Länder künftig gemeinsam bildungspolitische Projekte finanzieren können. Dies wird mit Blick auf die nächsten Jahre (mit dem Greifen der Schuldenbremse in den Ländern) unverzichtbar sein: Das Grundgesetz muss so geändert werden, dass das Kooperationsverbot aufgehoben wird und Bund und Länder gemeinsam Bildung und Wissenschaft finanzieren können.

Zudem sollte der Widerspruch zwischen der Internationalität von digitalen Bildungsangeboten und dem Bildungsföderalismus in Deutschland aufgelöst werden. So nehmen z.B. an MOOCs Studierende aus der ganzen Welt teil, die an den Hochschulen Kapazitäten binden, aber nicht in die bisherige Finanzierungslogik („Landeskinder versus Nichtlandeskinder“) passen. Dadurch entstehen in den Hochschulen Verwaltungs- bzw. Finanzierungsprobleme. In Zeiten des grenzüberschreitenden E-Learnings ist eine Überarbeitung der Finanzierungssysteme von Hochschulen und
Hochschullehre unerlässlich.

Europäische und internationale Dimensionen einbeziehen:

Das Thema E- Learning kann nicht nur im nationalen Rahmen diskutiert werden. Sehr viele der damit verbundenen Fragestellungen sind mindestens europäisch, wenn nicht international zu lösen. Das betrifft rechtliche Fragen, aber auch Fragen wie die Förderung von MOOCs sowie die Standardisierung und Qualitätssicherung von Online-Angeboten. Allerdings sind Abstimmungsprozesse auf internationaler Ebene in diesem Bereich sehr schwierig, da die rechtlichen Rahmenbedingungen und Wissenschaftssysteme der Länder teilweise sehr stark divergieren, z.B. die Datenschutzbestimmungen in den USA und Deutschland.

Angesichts dessen stellt sich die Frage nach der spezifischen Rolle der europäischen Ebene bzw. der EU. Es wäre zu überlegen, ob europäische Standards für Online- Formate entwickelt werden sollten und welche Strategien Europas sinnvoll sein könnten, um in der Debatte führend zu werden und den Prozess mit zu gestalten. Ein wichtiger Schritt könnte sein, eine europäische Plattform zu etablieren, wo die besten Beispiele freier Bildungsangebote gesammelt werden, damit diese „Schule machen“. So wäre eine bessere Vernetzung und ein intensiverer Austausch der europäischen Länder in diesen Fragen möglich. Ein solches europäisches Gemeinschaftsprojekt würde auch der europäischen Wertegemeinschaft entsprechen.

Studien, Pilotprojekte, Wettbewerbe initiieren:

Es gilt, unverzüglich mit Pilotprojekten in den Ländern und Machbarkeitsstudien zu digitalen Bildungsangeboten zu beginnen. Darüber hinaus sollte ein weiterer Wettbewerb für Online- Formate, z.B. MOOC-Konzepte, gestartet werden. Dass man mit begrenzten Mitteln schon sehr viel bewegen kann, hat der Wettbewerb des Stifterverbands mit iversity gezeigt, als 250.000 Euro ausgelobt und 250 MOOC- Konzepte eingereicht wurden. Diese enorme Resonanz macht deutlich, wie viele Open Education Resource-Projekte mit einer Erhöhung der Summe gefördert werden könnten.

Darüber hinaus sollten bereits funktionierende Ansätze im E- Learning-Bereich gestärkt werden, wie die FernUniversität Hagen und der Hochschulverbund Virtuelle Fachhochschule, die bereits wichtige Beiträge zur Online-Bildung leisten, u.a. durch das Erschließen neuer Zielgruppen für akademische Bildung.

Den Prozess aktiv mitgestalten:

In Deutschland ist die Brisanz der digitalen Frage für die Bildung noch nicht präsent. Angesichts der schnellen Entwicklungen im digitalen Zeitalter ist jedoch rasches Handeln gefragt. Wenn Politik und Hochschulen nicht sofort agieren, wird die Entwicklung über sie hinweggehen – sei es durch problematische Kommerzialisierungstendenzen, eine wachsende Kluft zwischen den Bildungsbedürfnissen der jungen Generation und den aktuellen Bildungsangeboten, durch digital „abgehängte“ Bevölkerungsschichten und die Entstehung neuer Bildungsungerechtigkeiten.

Deshalb müssen Politik und Hochschulen zu Handelnden werden: zu aktiven Mitgestaltern des Prozesses, indem die Potenziale der digitalen Medien genutzt werden, um Bildung umfassend – auch für neue Zielgruppen – zu öffnen und mehr Bildungsgerechtigkeit zu erreichen.

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