Gleichstellung in der Wissenschaft

Angela Borgwardt: Gleichstellung in der Wissenschaft, Reihe „Eine Stunde für die Wissenschaft“, Paper No. 8, Berlin 2023.

Link zur Publikation

Inhalt

Im deutschen Wissenschaftssystem ist Gleichstellung noch nicht erreicht, auch wenn in den letzten beiden Jahrzehnten verschiedene Förderprogramme und gleichstellungspolitische Maßnahmen zu Verbesserungen geführt haben.

Im deutschen Wissenschaftssystem sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Das betrifft Hochschulleitungen ebenso wie W3-Professuren. Zudem erhalten Professorinnen für dieselbe Arbeit oft weniger Geld als ihre Kollegen (Gender Pay Gap). Dieses Ergebnis steht in Diskrepanz dazu, dass in Deutschland inzwischen genauso viele Frauen wie Männer studieren und sogar häufiger ein Studium erfolgreich abschließen; bei den Promovierten ist das Geschlechterverhältnis noch nahezu ausgewogen. Mit jeder Stufe der akademischen Karriereleiter verbleiben jedoch weniger Frauen an den Hochschulen (sog. Leaky Pipeline). Dies konterkariert das Bemühen, Frauen eine ihrem Bevölkerungsanteil entsprechende Präsenz in wissenschaftlichen Führungspositionen zu verschaffen.

Dieses Defizit markiert nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem, sondern bedeutet auch verschenkte Potenziale: Wenn in der Wissenschaft Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und komplexe Probleme gefunden werden müssen, ist eine Vielfalt von Perspektiven, Prägungen und Hintergründen der Wissenschaftler*innen unverzichtbar. Diversität kann als wesentlicher Teil einer zukunftsfähigen Wissenschaft gelten, die Chancengleichheit mit Exzellenz verbindet.

Im Papier werden Vorschläge gemacht, wie der Prozess der Gleichstellung beschleunigt werden könnte.

Wichtige Ergebnisse

  1. Es braucht strukturelle und kulturelle Veränderungen an Hochschulen, v.a. verlässliche und transparente Karrierewege, einen Ausbau der Tenure-Track-Professuren, nachhaltige Personalstrukturen und die Einführung neuer Personalkategorien sowie mehr unbefristete Stellen für Postdocs. Unverzichtbar ist eine Reformierung des WissZeitVG, um die Basis für verlässliche Karrierewege und mehr Dauerstellen für Postdocs an Hochschulen zu schaffen. Auch die Einführung von Department-Strukturen (anstelle hierarchischer Lehrstühle) könnte einen wichtigen Beitrag leisten.
  2. Erfolgreiche Maßnahmen zur Frauenförderung sollten kombiniert werden mit einer familienfreundlichen Ausgestaltung der Studien- und Arbeitsbedingungen, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen zu ermöglichen. Einen hohen Stellenwert haben dabei konkrete Kinderbetreuungs- und Dual-Career-Angebote. Insgesamt muss mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Gleichstellung Männer und Frauen betrifft und beide Geschlechter Vorteile davon haben.
  3. Deutliche Wirkungen sind von einer veränderten Berufungspolitik und Wissenschaftskultur zu erwarten. Das schließt verschiedene Aspekte ein, u.a. transparente Berufungsverfahren, einen stärkeren Einbezug von qualitativen Kriterien bei der Leistungsbewertung, gendersensible Ausschreibungstexte und offene Ausschreibungen, die gezielte Ansprache von Frauen bei offenen Professuren, die paritätische Besetzung von Berufungskommissionen sowie eine Sensibilisierung aller Hochschulangehörigen für das Thema Gleichstellung und Familienfreundlichkeit.
  4. Ziel sollte es sein, Parität auf allen Führungspositionen aller Wissenschaftseinrichtungen in allen Fächern zu erreichen und Strukturen der Geschlechterungerechtigkeit abzubauen. Weisungsungebundene Stellen in Forschung und Lehre müssen so besetzt werden, dass fächerübergreifend schnell Parität erreicht wird. Somit muss auch darauf hingewirkt werden, in Fächern mit geringem Studentinnen- und Doktorandinnen-Anteil Ziele zu definieren und Maßnahmen zu ergreifen, die den Frauenanteil auf absehbare Zeit deutlich steigern können.
  5. Die Förderung von Gleichstellung sollte mit Diversität zusammengedacht werden, um bei der Bearbeitung gesellschaftlicher Herausforderungen und komplexer Probleme verschiedene Perspektiven einbeziehen zu können. Eine wichtige Rolle sollte dabei Intersektionalität spielen, d.h. es gilt, sich addierende Benachteiligungsstrukturen zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Deshalb sollte die Genderforschung gestärkt und die Diversitätsforschung ausgebaut werden.
  6. Es sollte über die Frage diskutiert werden, ob Anreize durch (materielle oder strukturelle) Sanktionen ergänzt werden sollten, um den Prozess der Gleichstellung zu beschleunigen. Damit Sanktionen die gewünschten Wirkungen entfalten, müssen sie aber reflektiert und gezielt eingesetzt werden. Deshalb sollte genau analysiert werden, auf welcher Ebene, bei welchen Akteur*innen und bei welchen Programmen Gleichstellung mit Sanktionen befördert werden könnte, ohne kontraproduktive Wirkungen zu erzeugen.
  7. Die notwendigen Veränderungen können nur in gemeinsamer Anstrengung erreicht werden: Alle Akteur*innen aus Politik und Wissenschaft müssen Verantwortung für Gleichstellung übernehmen. Darüber hinaus muss dafür sensibilisiert werden, dass Gleichstellung nicht nur Geschlechtergerechtigkeit herstellt, sondern auch die Qualität der Wissenschaft steigert und unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen und der Gesellschaft ist.

Die ausführlichen Ergebnisse können in der Publikation nachgelesen werden.

zurück zur Übersicht