Digitalisierung in Studium und Lehre
Angela Borgwardt: Digitalisierung in Studium und Lehre. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2023
Inhalt
In der Publikation wird thematisiert, wie die Potenziale der Digitalisierung dazu genutzt werden können, Studium und Lehre zukunftsfähig auszugestalten.
Die Covid-19-Pandemie hat einen Digitalisierungsschub an Hochschulen ausgelöst. Nachdem die Hochschulen wieder weitgehend in den Präsenzbetrieb zurückgekehrt sind, stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse aus den Erfahrungen der Digitalisierung in der Krise gezogen werden können:
- Welche Potenziale liegen in der Digitalisierung, um die Qualität von Studium und Lehre zu verbessern?
- Welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen braucht es für eine gelingende Digitalisierung?
In zehn Handlungsempfehlungen wird dargelegt, was Hochschulen und Politik dafür tun können, Lehre und Lernen mit digitaler Unterstützung positiv weiterzuentwickeln.
Wichtige Ergebnisse
Zehn Handlungsempfehlungen
- Digitalisierungsstrategien partizipativ entwickeln und umsetzen
Jede Hochschule sollte eine digitale Strategie für den Bereich Studium und Lehre entwickeln, die in eine übergreifende Digitalisierungsstrategie für sämtliche Bereiche der Hochschule eingebettet ist. Bei der Entwicklung und Umsetzung der Strategie sollten in einem partizipativen Prozess alle Statusgruppen einbezogen werden. Bei der Gestaltung von digitalen und hybriden Lehr-Lern-Szenarien auf der Ebene von Studiengängen und Lehrveranstaltungen sollten Lehrende die Bedürfnisse der Studierenden einbeziehen. Um eine kontinuierliche Weiterentwicklung der (digital unterstützten) Lehre sicherzustellen, sollten nachhaltige Strukturen und regelmäßige Austauschformate etabliert werden.
- Potenziale der Digitalisierung ausschöpfen
Die vielfältigen Potenziale der Digitalisierung sollten ausgeschöpft werden, insbesondere im Hinblick auf Internationalisierung, die Öffnung von Hochschulen für neue Zielgruppen, die höhere Inklusion und Partizipation bei der Hochschulbildung, die Intensivierung von Kollaboration und Kooperation, die Möglichkeiten für lebenslanges Lernen und Weiterbildung sowie die Ausweitung von Lehr-Lern-Szenarien, die flexibleres, individualisiertes und personalisiertes Lernen unterstützen.
- Interaktion von Lehrenden und Lernenden weiterentwickeln
Die Lehrenden sollten die Chancen digitaler Instrumente nutzen, um den Wissens- und Kompetenzerwerb der Studierenden neu zu organisieren, neue didaktische Lehr- und Prüfungskonzepte zu erproben und Lehre abwechslungsreicher zu gestalten. Dabei wäre es wichtig, mehr aktivierende und interaktive Lehr-Lernformate einzusetzen, um Austausch, Diskurs und Feedback zu befördern. Digitale Tools müssen durch Präsenzphasen und eine kompetente Begleitung von Lehrpersonen ergänzt werden, die auf Basis ihrer Expertise, Kompetenzen und Erfahrungen Lernprozesse begleiten und kritisches wie auch analytisches Denken unterstützen. Wissen bedarf der Urteilskraft und der Fähigkeit, Daten (z. B. als vertrauenswürdige Quellen) einzuordnen und interpretieren zu können.
- Kooperationen und Kollaborationen stärken
Bei der digitalen Transformation von Lehre und Studium sollten Hochschulen mit anderen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen (im Verbund oder Netzwerk) kooperieren, um herausfordernde Entwicklungsaufgaben in Lehre, Weiterbildung und Infrastruktur gemeinsam zu bewältigen, fachlichen Austausch sicherzustellen sowie gemeinsam Ressourcen aufzubauen und zu teilen. Digitale Tools sollten auch dazu genutzt werden, Kollaboration in Studium und Lehre zu intensivieren.
- Hybride Lehr-Lern-Szenarien gemeinsam gestalten
In hybriden Lehr-Lern-Szenarien sind digitale und physische Präsenzanteile so zu kombinieren, dass sie sich an den Kriterien guter Lehre orientieren, den Lernzielen entsprechen und einen didaktischen oder curricularen Mehrwert erbringen. In den Fachbereichen sollten Konzepte für gute digitale Lehre entwickelt werden, in denen die Besonderheiten der Fächerkulturen einbezogen und Qualitätsstandards formuliert werden. Der Einsatz digitaler Tools und neuer didaktischer Konzepte sollte in verschiedenen Fächern erprobt, systematisch evaluiert und bei Bedarf überarbeitet werden. Bei der Entwicklung und Umsetzung digitaler Lehr-Lern-Szenarien und -Materialien sollten Lehrende mit Expert_innen der digitalen Mediendidaktik und Bildungstechnologien zusammenarbeiten.
- Qualifizierung und Weiterbildung gewährleisten
Für eine hohe Qualität digitaler und hybrider Lehrangebote bedarf es digitaler und spezifischer didaktischer Kompetenzen von Lehrenden. Dafür ist es notwendig, dass genügend Weiterbildungsangebote an Hochschulen – auch hochschulübergreifend – vorhanden sind und Lehrende regelmäßig daran teilnehmen. Darüber hinaus müssen Studierende Medien- und Digitalkompetenzen in ihrem Studium erwerben, insbesondere in Lehramtsstudiengängen sollten entsprechende Module verpflichtender Bestandteil sein. Neben konkreten Qualifizierungsangeboten können diese Kompetenzen bei Studierenden auch durch den bewussten Einsatz und die kritische Reflexion von digitalen Medien in Studium und Lehre gezielt gefördert werden.
- Geeignete technische und räumliche Infrastruktur schaffen
Die Räume und Flächen in Hochschulgebäuden und auf dem Campus müssen eine geeignete technische Infrastruktur und Ausstattung für digital unterstützte und hybride Lehre aufweisen und so gestaltet sein, dass eine flexible Kombination von physischer Präsenz und digitalen Elementen unterstützt wird. Die Räume sollten in der Nutzung möglichst offen und flexibel sein, um unterschiedliche Kombinationen von Lehr-Lern-Szenarien zu ermöglichen, und dabei auch didaktische Konzepte einbeziehen.
- Rechtliche Regelungen überarbeiten
Die strategische Bearbeitung und Umsetzung der Digitalisierung in Lehre und Studium setzt einen geeigneten Rechtsrahmen voraus. Rechtliche Gestaltungsbedarfe bestehen vor allem im Bereich Daten- und Persönlichkeitsschutz (z. B. bei Onlineprüfungen oder dem Einsatz von Learning Analytics) und im Bereich Urheberrecht (vor allem bei der Verwendung von Fremdmaterialien in der eigenen Lehre). Die Länder müssen die Lehrverpflichtungsverordnungen (LVVO) so überarbeiten, dass sie digitalen Lehrformaten gerecht werden (vor allem Anrechnung digitaler Formate auf das Lehrdeputat). Auch das Kapazitätsrecht muss angepasst werden, damit der höhere Arbeitsaufwand der Lehrenden durch die Öffnung von Lehrveranstaltungen nicht zulasten der Qualität von Lehre geht.
- Nachhaltige und auskömmliche Finanzierung sicherstellen
Die Digitalisierung von Studium und Lehre ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess und bedarf stetiger Investitionen. Diese dauerhafte Aufgabe der Hochschulen ist auf langfristig angelegte und auskömmliche Finanzierungsmechanismen angewiesen, damit genügend Ressourcen für den Ausbau und Betrieb der technischen Infrastruktur, für digitale Ausstattung und Angebote sowie Qualifizierung und (neuen) Personalbedarf zur Verfügung stehen. Da die Mehrbedarfe der Hochschulen durch Digitalisierung nicht allein von den Ländern geleistet werden können, sollte sich der Bund gezielt mit Förderprogrammen beteiligen und über weitere nachhaltige Unterstützungsstrukturen und Fördermöglichkeiten nachdenken. Auch die Hochschulbaufinanzierung sollte in Kooperation von Bund und Ländern neu organisiert werden, um die Hochschulgebäude an die Anforderungen von digitaler und hybrider Lehre und die Ziele der Nachhaltigkeit anzupassen.
- Kritische Reflexion und ethische Debatten anstoßen
Digitalisierung und KI in der Lehre bergen große Chancen, sind aber auch mit Gefahren verbunden. Wichtig sind deshalb die kritische Reflexion und Debatten über ethische Fragen: Welche Form der Mensch-Maschine-Interaktion ist gewünscht? Wo liegen Verantwortlichkeiten beim Einsatz von KI? Wie soll die Nutzung von Daten geregelt werden? Wie können Diskriminierungsstrukturen und neue Zugangshürden verhindert werden? Ziel muss ein verantwortungsvoller Einsatz der digitalen Möglichkeiten sein. Zu diskutieren ist auch, wie sich im Zuge der Digitalisierung die Vermittlung und Aneignung von Wissen und der Kompetenzerwerb verändert, wie der Wandel der Lehr-, Lern- und Prüfungskultur an Hochschulen aktiv gestaltet werden kann und was Hochschulbildung in Zukunft leisten soll. Diese Diskurse sollten innerhalb der Hochschulgemeinschaft, aber auch in der breiteren Öffentlichkeit geführt werden, um die Potenziale digitaler Medien für eine Qualitätssteigerung in Studium und Lehre auszuschöpfen, Gefahren wirkungsvoll begegnen zu können und Hochschulbildung zukunftsfähig auszugestalten